Ein Berg, auf den ich schon so oft hinaufgeschaut habe. Wie mag es wohl sein, dort oben zu stehen? Wäre eine Winter- oder Sommerbesteigung eher das richtige für mich – wenn ich es überhaupt schaffen sollte. Aus dem Anlauftal, über den Ankogel oder doch einen anderen Weg? Und würde ich auf Ski überhaupt wieder runterkommen, wo man doch hört, dass das Ende ziemlich „tricky“ sein soll? Fragen über Fragen, die jahrelang in meinem Kopf gekreist sind. Jetzt habe ich endlich Antworten darauf gefunden…
Gibt das Leben dir eine Zitrone, mach Kuchen daraus
So oder so ähnlich heißt ein bekannter Spruch. Zitrone deshalb, weil wir für das erste Wochenende im März eigentlich die Teilnahme am Vasaloppet in Schweden geplant gehabt hätten. Diese wurde uns verwehrt, weil unser Flug aufgrund eines Streiks in München annulliert wurde und wir die über 20 Stunden Anreise, die der Ersatzflug mit sich gebracht hätte, nicht in Kauf nehmen wollten. Kuchen deshalb, weil wir uns spontan ein Ersatzprogramm für das nun nicht verplante verlängerte Wochenende suchten und die Entscheidung, eine Skitour auf den „Tischler“ zu machen, schlussendlich genau die richtige war. Der Gedanke daran schenkt mir noch jetzt ein so angenehmes Gefühl, wie es auch Kuchen bei mir immer schafft 😉
Schon lange stehen die „Tischler“ auf meiner Bucket List, nicht zuletzt, weil sie zu den letzten Gipfeln gehören, die meinem Gasteiner Gipfelkranz noch fehlen. Aber für die Besteigung solcher Berge muss alles passen – das Wetter, der Schnee (wenn man im Winter geht), Zeit muss man haben, einen Bergführer finden, etc. Nach der Flugannullierung kam mir relativ rasch der Gedanke, dass eine Skihochtour ein guter Ersatz sein könnte. Ich telefonierte mit einem Bergführer der Alpine Guides Gastein und besprach mit ihm meine Idee. Die nächsten Tage sollte Neuschnee fallen, danach war stabiles, sonniges Wetter angesagt. Wir vereinbarten, am Freitag nochmals zu telefonieren und dann zu entscheiden. Gesagt getan. Der Plan stand fest: Am Montag machen wir eine Skitour über die Palfnerscharte auf den Hölltorkogel und dann auf die Tischlerspitze oder den Tischlerkarkopf – wenn die Verhältnisse passen. Fix kann man mit dem Erreichen des Gipfels bei solchen Touren zuvor natürlich nie rechnen, aber der Plan hörte sich großartig an.
Vorbereitung ist alles
Dementsprechend aufgeregt war ich das gesamte Wochenende über. Ich wusste, dass mir ein langer und anstrengender Tag bevorstand, dafür wollt ich bestmöglich vorbereitet sein. Das Sportprogramm wurde also auf „Regenerationstraining“ reduziert, die Kohlenhydratzufuhr erhöht, ebenso versuchte ich vor allem am Sonntag bewusst mehr zu trinken. Der Rucksack wurde gepackt, die Felle auf die Ski geklebt, die Steigeisen und der Klettergurt verstaut und noch schnell ein Eispickel ausgeliehen – sicher ist sicher. Wichtig war natürlich auch die richtige Verpflegung: Neben Käsebroten wurden Riegel und Gels verstaut und vor allem so viel Flüssigkeit wie möglich eingepackt. Ich hatte es geschafft, 3,5l dabei zu haben. Als ich am Vorabend meine Rucksack aufhob, war das viele Equipment deutlich zu spüren. Aber lieber hatte ich mehr mit als zu wenig (was ohnehin ein Markenzeichen von mir ist ;)).
Schon früh ging es ins Bett, denn der Wecker klingelte um 4.30 Uhr, um pünktlich um 5.30 Uhr beim Treffpunkt Grüner Baum zu sein.


Das Abenteuer beginnt mit Stirnlampe und zu Fuß
Der Startknopf unserer Uhren wurde gedrückt. Bis zum „Stopp“ würden zahlreiche Stunden vergehen. Wir freuten uns, dass wir direkt vom Auto weg, das oberhalb vom Schachen stand, mit den Ski gehen konnten, damit hatten wir nicht gerechnet. Doch es dauerte nicht lange, bis die Schneefahrbahn zu Ende war und unsere Ski auf den Rucksack geschnallt wurden. Wir wanderten Richtung Palfner Heimalm und weiter dem Sommerweg entlang Richtung Hochalm. Auf halbem Weg verließen wir den Steig, schnallten die Ski an und kämpften und durch Latschen, Lärchen und Steine hinauf in Richtung Palfnersee. „A Murkserei“ war das wortwörtlich, aber es konnte nur besser werden, denn bald ließen wird die Baumgrenze hinter uns und ab dem Palfnersee, den ich zum ersten Mal im Winter besuchte, war die Strecke gespurt, was uns allen das Gehen erleichterte.



Bald war die Palfnerscharte erreicht und damit die ersten 1000 hm geschafft. Die Sonne war gerade aufgegangen und das Morgenlicht war traumhaft. Wir aßen einen Bissen, tranken und danach fuhren wir rund 200 hm ab, um den Palfnerseekopf herum und dem ersten Gipfel des Tages entgegen.
Hölltorkogel – der erste Gipfel
Nach leichtem Auf und Ab begann der rund 800 Meter hohe Aufstieg Richtung Hölltorkogel. Dieser hatte mich schon bei meiner bisher einzigen Besteigung im Sommer nachhaltig beeindruckt und obwohl meine Gedanken an ihn von Respekt und Ehrfurcht geprägt waren, war es auch eine sehr positive und freudige Erinnerung. Konnte ich mir zuvor nicht vorstellen, wie man hier im Winter hinaufkommen sollte, beruhigten mich die Spuren, die zwei Skitourengeher vor und gezogen hatten. So schwierig sah es nicht aus und in vielen Spitzkehren gewannen wir rasch an Höhe. Die beiden Vorgeher hatten den Gipfel jedoch nicht bestiegen, sondern gleich ihren Weg zur Scharte rechts unterhalb gebahnt. Wir jedoch gingen weiter den immer steiler werdenden Hang hinauf.


Für die letzten 50 hm machten wir ein Skidepot und gingen zu Fuß – teilweise auf allen Vieren – das Schneefeld hinauf. Die letzten Meter war es schon mehr ein Kraxeln, ich konnte mich noch gut an den felsigen Gipfelzustieg erinnern. Ich war dankbar, dass mir unser Bergführer Helmut ein paar Anweisungen gab und mir somit den Kampf mit Fels, Schnee und Seil erleichterte. Als ich mich gerade eine Felsstufe hinaufhievte und aufblickte, war das Gipfelkreuz direkt vor mir – ich hatte es dann doch schneller erreicht als erwartet und konnte es kaum fassen.



Das Seil, mit dem es im Boden verankert war, kam mir sehr entgegen und solange wir da oben standen, ließ ich es maximal zum Fotografieren los. Die Aussicht war fantastisch.
Der Himmel wolkenlos, rund um uns herum beeindruckende Gipfel, Grate und Hänge, die – vom frischen Schnee bedeckt – unberührt in der Sonne glänzten. Ein schneller Eintrag ins Gipfelbuch und schon ging es wieder hinunter. Obwohl es sehr steil war, funktionierte das recht gut. Der Schnee fühlte sich stabil an und ich hatte keine Angst, dass irgendwas wegrutschen oder -brechen würde.
Beim Skidepot angekommen, zog ich mir in dem steilen Hang relativ umständlich meine Ski wieder an und rutschte hinüber zur Scharte, stapfte ein paar Höhenmeter hinauf und folgte Helmut die steile Flanke hinunter, wo unser Mittagspausenplatz wartete. Der Bergführer voraus, Viktor hinter mir – in dieser Mitte fühlte ich mich wohl und nach den ersten sehr steilen und steinigen Einstiegen war auch der Schnee wirklich gut und ich konnte die Abfahrt sogar genießen 🙂
Unten angekommen fellten wir ab und versuchten alles so gut wie möglich in der Sonne zu trocknen, packten unsere Jause aus und machten es uns auf unseren Rucksäcken gemütlich. Es tat gut, sich ohne Gepäck am Rücken hinzusetzen und ein bisschen zu entspannen. Es war nun etwa 12.00 Uhr und die Temperatur war mittlerweile ordentlich angestiegen.



Ende früher als gedacht?
Das merkten wir auch, als wir uns wieder auf den Weg in Richtung Grubenkarscharte machten. Schon nach wenigen Metern begann es bei uns allen aufzustollen und die nächste Stunde bis zur Scharte, wo der Weg eigentlich sehr sanft verlief, wurde zu einem der anstrengendsten Abschnitte. Trotz Imprägnierens am Vortrag und Wachsen zwischendurch klebte der Schnee fest auf den Fellen und wurde immer mehr, wenn wir nicht immer wieder abschnallten und abputzten. Noch dazu knallte die Sonne sehr stark vom Himmel, eine hitzige Angelegenheit.
Heiß wurde mir auch, als wir der Scharte immer näher kamen und ich bemerkte, dass der Schnee dort eher „mager“ war. Unsere Vorgeher hatten kurz davor umgedreht und waren Richtung Anlauftal abgefahren. Vielleicht war der steinige Aufstieg der Grund dafür. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie wir das schaffen sollten und sah uns auch schon die alternative Abfahrt hinunterwedeln. Ein Gipfel mit über 2900 m ist auch toll, die Tischler stehen noch länger, sagte ich mir selbst und versuchte, nicht enttäuscht zu sein.
Helmut wollte sich die Situation aus der Nähe ansehen und ging voraus. Er bahnte sich einen Weg entlang des schmalen Schneebandes in ziemlich steilem Gelände, von Felsblöcken und -platten umgeben, nach oben und obwohl ich es mir nicht vorstellen hätte können, gelang es ihm, sogar relativ einfach. Wir folgten ihm, ein kleines Stück mussten wir die Ski tragen, aber wir schafften es bis zur Scharte.



Die Entscheidung ist gefallen
Erleichtert schaute ich mich um, die Aussicht war fantastisch. Schnell begriff ich aber auch, dass der Tischlerkarkopf noch ziemlich weit weg war. Ohne es auszusprechen, hatten wir wohl alle denselben Gedanken: Diesen Gipfel würden wir heute nicht mehr erreichen. Dafür war es zu spät, vor allem, wenn wir auf die Tischlerspitze, die direkt vor uns in die Höhe ragte, auch noch einen Versuch wagen wollten. Außerdem hatte ich immer im Kopf, dass ich mir für die Abfahrt, die vor allem zum Schluss recht interessant werden dürfte, auch noch Kräfte und Zeit sparen musste.
Schnell war also entschieden: Unser zweiter und letzter Gipfel für heute sollte die Tischlerspitze werden. Etwas weiter oben machten wir ein Skidepot, zogen unsere Klettergurte an und schnallten die Steigeisen auf die Skischuhe.


Sicher am Seil zur Spitze
Nun ging es am Seil weiter und die Kraxlerei sollte beginnen. „Pack ich das schon?“ fragte ich, leicht verunsichert beim Anblick der Felswand vor mir. Ich war mir wirklich nicht sicher. Umso besser, dass mir meine beiden Begleiter mir einer Ruhe und Bestimmtheit jegliche Sorgen nahmen und es für eine Selbstverständlichkeit hielten. Auf los ging es also los. Helmut voran, dann ich und Viktor hinter mir stiegen und kletterten wir Schritt für Schritt nach oben. An einer größeren Wand sicherte Helmut uns von oben, den Rest gingen wir gemeinsam am Seil. Mit Steigeisen an den Skischuhen war es ziemlich ungewohnt für mich, doch das Vertrauen wurde mit jedem Schritt größer. Hilfreich war natürlich auch, dass ich immer wieder den Zug am Seil spürte und dadurch merkte, dass ich in Sicherheit war. Konzentriert und ruhig kämpfte ich mich nach oben, teilweise wieder auf allen Vieren.



Da blickte ich auf und plötzlich war es nur mehr wenige Meter von mir entfernt – das heiß begehrte Gipfelkreuz, das wir schließlich nach wenigen Schritten am Grat entlang erreichten. Das Glücksgefühl konnte in diesem Moment kaum größer sein. Endlich stand ich auf diesem Gipfel, den ich schon so lange von unten betrachtet hatte.


Es folgte der übliche Ablauf: Gipfelfoto, Gipfelbussi, Gipfelsnickers. Ein Blick ins Gipfelbuch verriet, dass es sich hier wirklich um kein Ziel handelte, das von Massen besucht wurde. Die Einträge waren teilweise über 50 Jahre alt. Leider – und das ärgert mich wirklich ein bisschen – hatten wir alle drei keinen Stift dabei und es war auch keiner in der kleinen Kiste mit dem Buch, daher konnten wir uns nicht eintragen. Auch wenn das natürlich nicht das Wichtigste ist, war es schon etwas bedauerlich, denn wer weiß, ob ich jemals wieder oben sein werde.
Nach einer kurzen Rast ging es wieder nach unten, diesmal Viktor voran. Ich fühlte mich gelöster als beim Aufstieg und als wir beschlossen, dass wir die größere Felswand abgeseilt wurden und nicht hinunterklettern mussten, fiel noch eine weitere Last von mir. Wobei – es ist auch ziemlich aufregend, sich ins Seil zu setzen und einfach loszulassen. Aber damit hatte ich schon Erfahrung und es klappte gut.


Unten kamen die Kletterutensilien wieder in die Rucksäcke und mit den Ski fuhren wir ein paar Schwünge in feinstem Powder nach unten, ehe es die letzten rund 150 hm nach oben zu einer Scharte ging.


Eine Abfahrt wie im Bilderbuch
Wir fellten zum letzten Mal für diesen Tag ab und machten uns für die Abfahrt bereit. Mittlerweile war langsam aber sicher die Müdigkeit zu spüren und ich brauchte für alle Schritte des Umpackens schon deutlich länger als am Morgen. Nach einigen Minuten waren wir alle bereit und Helmut startete als erster ins unverspurte Tischlerkarkees. Es war einfach traumhaft. Aufgrund der fortgeschrittenen Uhrzeit stand die Sonne schon ziemlich tief und die Landschaft wirkte durch dieses besondere Licht noch schöner. Nichts war zu hören, niemand zu sehen. Ich war als nächste an der Reihe und nachdem ich die ersten Meter durch das Steinfeld unterhalb der Scharte geschafft hatte, ging es los: Es war fantastisch und ich konnte mein Glück kaum fassen. Ich glaube, dass ich noch nie eine so lange durchgehende Tiefschneeabfahrt erlebt, vor allem nicht in dieser atemberaubenden Kulisse. Kurz bevor ich unten ankam, konnte ich mir einen Jubelschrei nicht verkneifen 😉
Auch Viktor genoss die Abfahrt in vollen Zügen. Danach fuhren wir gemeinsam weiter, querten das gesamte Kees bis zum – von oben gesehen – linken Rand, wo es in zahlreichen Kurven auf und ab, über Steine, an Latschen und Bäumen vorbei ging. Ich merkte, dass meine Kräfte nachließen, aber auch mein Kopf wurde müder, was für das, was noch kommen sollte, gar nicht so schlecht war.

Das „Beste“ kommt zum Schluss
Immer wieder stand ich vor kleinen Herausforderungen. Als es einmal ca. 1,5-2 Meter eine Kuppe hinunterging, sagte mein Kopf „nein“. Meine beiden Begleiter motivierten mich mit „da passiert nichts“ und „einfach Gas geben“ und so biss ich die Zähne zusammen und tauchte an. Die Knie wurden weich, aber weil zum Glück so viel Schnee lag, war es tatsächlich halb so wild. Ich schaltete den Kopf so gut es ging aus und versuchte, Kurve um Kurve zu fahren und nicht weiter zu denken. Es ist mir heute noch ein Rätsel, wie wir es durch dieses Labyrinth geschafft hatten. „Hier bitte besonders aufpassen, denn vorne geht eine steile Rinne hinunter und links kommt eine senkrechte Felswand“ – diese Details hätte ich gar nicht so genau wissen müssen.
Aber wir wurden von Helmut so gut hinuntergelotst, dass es kein Problem war. Zu guter Letzt, als wir noch ein letztes sehr steiles Feld hinunter mussten, lernte ich sogar noch, die Kurven zu springen anstatt zu fahren, weil es anders schlichtweg nicht möglich war. Der eine oder andere Sturz war dabei, aber aller Anfang ist schwer. Fast unten angekommen, überstieg die Anzahl der Stürze jene der Kurven und ich beschloss, die letzten Meter zu Fuß zu gehen. Zu viele Steine, umgefallene Bäume und Äste unter zu wenig Schnee ergaben keine guten Bedingungen. Aber das war egal. Wir hatten es geschafft und ich konnte es kaum fassen, diesen Gipfel heute wirklich erreicht zu haben.


Das letzte Stück bis zur Prossau war mir vom Sommer bekannt und als wir die Forststraße erreichten, hatte die Dunkelheit bereits so stark eingesetzt, dass wir wieder die Stirnlampen einschalteten. Ich war froh, dass auf der Straße noch Schnee lag, sodass wir wenigstens ein Stück fahren konnten. Nichtsdestotrotz schulterten wir unsere Ski dann noch ca. 4 km bis zum Auto das Kötschachtal hinaus wo wir nach insgesamt rund 13 Stunden müde, aber glücklich ankamen.