Zugspitz Ultratrail – Mein erster 100er

Wenn ich 93 km schaffe, müssten sich 100 doch auch ausgehen… Diese Gedanken haben mich seit meinem Finish beim Innsbruck Alpine Trailrun Festival im Juni 2023 nicht mehr losgelassen. Außerdem – sind 100 km nicht eine gewisse magische Schwelle, die man als Trailrunner einmal gemacht haben muss? Verfolgt man die Szene, dann scheint das wirklich so zu sein. Wobei… mittlerweile sind 100 Meilen schon die neuen 100 Kilometer. Aber man muss es ja nicht gleich übertreiben.

Also suchte ich nach einem für mich passenden 100er. Ich wollte nicht gleich 8000 Höhenmeter machen, der Termin musste passen, die Anreise sollte gut möglich sein, … und so fiel die Wahl auf den Zugspitz Ultratrail, der in Garmisch-Partenkirchen startete. Ein echter Klassiker und die größte Veranstaltung in Deutschland. Ich meldete mich an und so Begann meine Reise zu meinem ersten 100er, bis es von 14.-15.6.2024 dann soweit sein sollte.

Großartige Stimmung

Nach unserer Ankunft am Nachmittag machten wir uns auf den Weg in den Start-/ Zielbereich, um die Startnummer abzuholen. Wir fanden ein regelrechtes Trail-Festival vor: Der ganze Ort war voller aufgeregter Menschen, viele davon in Sportbekleidung, es gab eine riesige Expo-Area, Musik wurde gespielt und alle wirbelten irgendwie herum – die positive Anspannung, die in der Luft lag, war deutlich spürbar. Allzu lange wollte ich mich hier aber nicht aufhalten, sondern lieber meine Beine schonen. Nachdem alles erledigt war, gingen wir also wieder zurück in Hotel, wo ich mich nochmal aufs Bett legte und mich so gut es ging entspannte.

Die letzten Vorbereitungen

Es war etwa 21.00 Uhr, als ich meine Schuhe zuband und den Rucksack am Rücken testete. So voll war er normalerweise nicht. Und auch nicht so schwer. Und dabei hatte ich kurz zuvor nochmals die kompaktere Regenjacke herausgenommen und doch nur die leichtere Variante eingepackt. Aber für eine ganze Nacht und einen ganzen Tag in den Bergen braucht man einiges. Neu war vor mich vor allem die Mitnahme von so vielen Gels. Wenn ich wirklich jede halbe Stunde eines nehmen würde und mit ca. 20-22 Stunden rechnete, waren das… naja auf jeden Fall SEHR viele. Zum Glück konnte ich ein Drop Bag abgeben, das zur Verpflegungsstelle bei Kilometer 54 gebracht wurde.

Das sollte für die ganze Strecke genügen 😉

Vollbepackt und leicht aufgeregt marschierten wir zum Start. Es war noch hell und ich war nicht müde, worüber ich sehr erleichtert war. Ich gab mein Drop Bag ab und suchte mir noch einen Stuhl. Jede Sekunde, in der ich die Beine entlasten konnte, musste genutzt werden. Zumindest redete ich mir das ein.

Die letzten Minuten sitzend

Weil vor dem Betreten des Startfeldes noch die Ausrüstung kontrolliert wurde, machte ich mich lieber etwas früher auf den Weg dorthin, wobei alles zum Glück sehr flott durchgeführt wurde. Das „Tüt“ des Scanners zeigte, dass ich nun als Starterin tatsächlich registriert war.

Die Anspannung stieg und ich war froh über das Konzert der örtlichen Musikkapelle direkt neben dem Start, weil es ein bisschen ablenkte. Um mich herum wurden Schuhbänder gebunden, Stirnlampen aufgesetzt, aus Schläuchen getrunken, eingeklatscht, Startnummern zurechtgerückt, Bananen gegessen, gelacht und umarmt. Nachdem ich meine Schuhbänder zum dritten Mal kontrolliert und noch ein paar Fotos gemacht hatte, verstaute ich das Handy in der Plastikfolie und war total überrascht, als das obligatorische Startlied „Highway to Hell“ plötzlich von der Kapelle mit Live-Sängerin performt wurde. Gänsehaut überkam mich und ich versuchte diesen Moment voll aufzusaugen. In wenigen Sekunden ging mein Abenteuer los und ich erinnerte mich an die Worte meiner Trainerin, die mich nicht vergessen ließ, dass es mein Rennen war und ich mich von niemandem aus dem Konzept bringen lassen sollte. Zum Finishen gehört neben der Vorbereitung auch Selbstvertrauen. Ich war bereit. Und die Uhr war bereit und der Startschuss fiel.

Hinein in die Nacht

Die Menge setzte sich langsam in Bewegung und der Jubel um uns herum war faszinierend. Ich hatte das Gefühl, ganz Garmisch-Partenkirchen war auf den Beinen, um uns in die Nacht zu verabschieden. Glocken, Applaus, Zurufe, Schilder mit Glückwünschen, Jubel,… es war unglaublich. Nach wenigen Metern sah ich Anna wie besprochen vor einem Café stehen. Sie jubelte mir zu und wir drückten unsere Hände noch ein letztes Mal, bevor es für mich wirklich losging und sie sich auf den Weg zurück ins Hotel machte und sich ins gemütliche Bett legte. Nein, nicht daran denken. Aber ich war ohnehin damit beschäftigt, nicht jetzt schon in Tränen auszubrechen und weiter zu atmen, so überwältigt war ich vom Publikum, das kein Ende zu haben schien.

Irgendwann wurde es dann doch weniger und wir liefen zwischen Feldern und neben Straßen gemütlich dahin, bis die erste halbe Stunde schon vorbei war und ich mein erstes Gel aß. Vom Gefühl her war das viel zu früh, aber ich wollte den Tipps eine Chance geben und mich so gut wie möglich daran halten, obwohl ich mir ein wenig komisch vorkam. Nach einigen flachen Kilometern ging es auf einen schmalen Steig bergauf und an der Engstelle staute es sich ziemlich, sodass wir einige Minuten warten mussten. Aber alle waren gut gelaunt und außerdem hatten sich auch hier viele Leute versammelt, die Musik machten und gute Stimmung verbreiteten, also war die kurze Pause kein Problem.

Engstelle, als es von der Straße auf den Trail ging

Danach ging es durch den Wald hinauf und man merkte, dass wir alle noch dabei waren, unseren Platz in der Reihe zu finden. Es wurde überholt, vorbeigelassen, pausiert, Gas gegeben… Es war ein Wechselspiel aus Up- und Downhill, schmalen Steigen und Forststraßen. Es ging über Skipisten hinauf und hinunter, was aufgrund der Dunkelheit besonders beeindruckend war, weil sich vor und hinter mir eine lange Lichterkette durch die Stirnlampen bildete und damit auch den Weg anzeigte.

Bei den Verpflegungsstellen nahm ich immer einen Becher Wasser, die Elektrolyte hatte ich selbst dabei. Zu essen nahm ich mir anfangs nicht viel, höchsten ein Stück Tomate mit Salz oder einen Bissen vom Kuchen. Aber ich hatte kein Verlangen nach etwas Bestimmtem, was für mich ein gutes Zeichen war – ich war ausreichend versorgt.

Der Nachthimmel war sternenklar und ich war unendlich dankbar dafür, denn die Wettervorschau war lange unsicher und es hätte auch regnen können.

Höchste Stelle der Zugspitz Ultratrails erreicht

Dann ging es immer höher hinauf, der Weg wurde steiniger, den Wald ließen wir unter uns. Ich sah nach wie vor die Lichterkette vor mir, somit konnte ich die Höhenmeter, die noch vor mir lagen, gut erkennen. Obwohl wir nun doch schon ein paar Stunden unterwegs waren, war ich ständig von anderen Läufern umgeben. Das Feld hatte sich noch nicht so sehr zerrissen. Es ging immer steiler bergauf und ein Mitstreiter, der einen kurzen Blick nach oben warf und ein knappes „Oh Gott“ ausstieß, sprach wohl vielen aus der Seele. Da es frischer wurde, machte ich einen kurzen Stopp, um eine Windjacke anzuziehen. Danach fand ich schnell wieder in mein Tempo und marschierte hinauf, bis ich schließlich eine erste Scharte erreichte. Auf der anderen Seite bot sich mir ein fantastischer Anblick, denn in der Ferne wurde der Himmel in tiefes orange-rot getaucht. Ein erstes Anzeichen, dass der Tag anbrach.

Schnell musste ich mich wieder auf den Weg konzentrieren, denn es war erdig und steinig und damit sehr rutschig. Wie tief es seitlich nach unten ging, konnte ich aufgrund der Dunkelheit zum Glück nicht erkennen. Langsam tapste ich voran, bis der abschüssige Teil zum Glück vorbei war. Vor mir sah ich aufgrund der Stirnlampen-Lichterkette, dass die höchste Stelle (2.190 m) des Rennens unmittelbar vor mir lag.

Höchste Stelle erreicht

Wie auch schon auf der Scharte zuvor, waren dort Zelte von Bergrettern und Streckenposten aufgebaut, die die ganze Nacht hier heroben verbrachten und mir ein Gefühl der Sicherheit vermittelten. Auch wenn es sicher sehr anstrengend war, musste es auch ein einzigartiges Erlebnis sein, hier heroben Wache zu halten und diesen fantastischen Sonnenaufgang zu erleben.

Es wurde immer heller und ich erkannte immer deutlicher, in welch traumhafter Landschaft wir uns hier bewegten.

Das nächste Abenteuer lag aber schon vor uns, also schnell wieder auf die Strecke konzentrieren: Bergab ging es über steile Schneefelder. Teilweise war ein Seil gespannt, an dem man sich beim Hinunterrutschen festhalten konnte. Ich merkte schnell, dass das ohne Handschuhe nicht so schlau war, weil man sich schnell seine Handflächen aufreiben konnte. Also wagte ich es ohne Seil weiter und schaffte es auch einigermaßen gut. Rund um mich herum sah und hörte ich immer wieder Stürze, Ausrutscher und Seufzer. Ich wollte es unbedingt vermeiden, im Schnee oder Dreck zu landen und konnte das zum Glück auch so umsetzen. Weiter ging es über wunderschöne Wanderwege, die Sonnenstrahlen wurden immer mehr und ich genoss den Tagesanbruch. Er gab mir frische Energie, auch wenn ich mich ohnehin immer noch gut fühlte. Ich war begeistert, dass ich diesmal nie das tiefe Verlangen nach einem Bett gespürt hatte, so wie ich es von meinem letzten Lauf durch die Nacht kannte.

Bei der 4. Verpflegungsstation, der Hämmermoosalm nach 41 km, kam ich um etwa 6 Uhr morgens an. Obwohl ich grundsätzlich Koffein nicht zu mir nahm, um das Loch, in das man nach dem Abklingen der Wirkung fallen konnte, zu vermeiden, konnte ich hier nicht wiederstehen und trank einen Schluck von dem Kaffee, der angeboten wurde. Es schmeckt köstlich und meinem Körper tat es gut. Es war schließlich die Zeit, in der er es beim Training gewohnt ist, Kaffee zu bekommen.

Blick zurück zur Hämmermoosalm

Gedankenspiele

Frisch und munter lief ich weiter und wie schon die Stunden zuvor versucht ich zu berechnen, wann ich in etwa in Mittenwald sein würde, wo Anna auf mich wartete. Ich verbrachte glaube ich etwa die Hälfte des Rennens damit, auszurechnen, wann ich wo sein würde. Zumindest versuchte ich es. Obwohl natürlich jedes Rennen einzigartig ist und man Zeiten nicht wirklich vergleichen kann, dachte ich vor dem Start, dass ich das Ziel nach 20-22 Stunden erreichen könnte. Zwischendurch musste ich leicht verzweifelt feststellen, dass meine Berechnungen eher 24 Stunden voraussagten. Und manchmal war ich einfach nur verwirrt. Die Strecke hatte ich mir in Fünftel aufgeteilt, wobei ein Fünftel 22 km waren. Ich hatte also bereits fast 2 Fünftel geschafft. Dazwischen rechnete ich aber auch in Sechstel, Viertel und Drittel um – je nachdem, wo ich gerade war. Es war wahrscheinlich einfach eine gute Methode, die Zeit vergehen zu lassen. Ich war ohne Musik unterwegs, obwohl ich die Kopfhörer zur Sicherheit dabei hatte. Doch es ist gar nicht so einfach, sich so viele Stunden gedanklich zu beschäftigen, ohne die Gedanken in „falsche“ Bahnen zu leiten. Ansonsten könnte man wahrscheinlich schnell verzweifeln.

Leichte Zweifel waren mich nur kurz nach dem Start überkommen. Obwohl ich mich gut fühlte, verspürte ich das leichte Gefühl, dass eine ewig lange Herausforderung vor mir lag und ich nicht sicher war, wie ich diese Zeit herumbringen sollte. Ein bisschen so, wie wenn man im vollen Wartezimmer sitzt und man das Gefühl hat, es dauert unendlich lange, bis man an der Reihe ist. Ich hatte natürlich körperlich viel zu tun, aber auch de Geist muss so lange durchhalten und ich denke, dass unterschätzt man gerne, wenn man sich einem solchen Rennen stellt.

Frische Kleidung und ein schmerzender Rücken

Bei der nächsten Labestation, dem Hubertushof bei Kilometer 54, war die Hälfte geschafft. Das feierte ich mit einem Stück frisch gebackener Pizza und Cola und außerdem mit einem frischen Shirt. Hier waren unsere Dropbags und ich wusste, dass ein bisschen Frischmachen Wunder bewirken kann. Ich suchte mir ein freies Plätzchen zum Umziehen und war froh, mir mit Feuchttüchern die Schmutz- und Salzschichten abwischen zu können. Danach kam Sonnencreme auf die freien Stellen. Als ich alles so erledigte, fiel mir auf, dass ich ein bisschen ungeschickt am Boden hockte. Und es kam, wie es kommen musste: Als ich aufstehen wollte, spürte ich einen extremen Schmerz im Kreuz und konnte mich nicht aufrichten. In die Knie gebeugt und den Rücken nach hinten gelehnt war ich froh über meine Stöcke, durch die ich mich zumindest irgendwie halten konnte. Aber es war unmöglich, mich zu bewegen. Hätte ich dasselbe nicht auch schon beim Innsbruck Alpine Trailrun erlebt, hätte ich mir ernsthafte Sorgen gemacht. So wusste ich, dass es wieder vergehen würde. Die größte Sorge war, dass meine komische Figur die anderen um mich herum sehr irritieren könnte. Als es ein kleines bisschen nachließ, ging ich langsam weiter bis zum Medizincheck, den wir vor dem Fortsetzen des Rennens passieren mussten. Mit schmerzverzogenem Gesicht sagte ich dem Sanitäter, dass ich nur gerade etwas Kreuzschmerzen hatte, aber es würde wieder aufhören. Auf seine Frage, ob ich weitermachen möchte, antwortete ich ganz klar mir Ja. 

Flache Kilometer und eine herzliche Umarmung

Wie erwartet ging es dann wirklich bald wieder besser und ich rief Anna an, um ihr zu sagen, dass ich im Anmarsch war.

Nun warteten 10 flache Kilometer bis zur nächsten Labe. Bald fand ich in ein gutes Tempo, um diese „herunterzuradeln“. Die Worte „Da zappeln wir jetzt rüber“ hatte ich dabei ständig im Kopf. Ich muss den Weg sowieso hinter mich bringen und gehen dauert länger, also kann ich auch laufen. Und so kam ich Mittenwald immer näher und damit auch Anna – meinem nächsten großen Ziel. Als ich sie sah, war ich den Freudentränen nahe und ich fiel ihr um den Hals. Hier war ich dann doch irgendwie schneller als zwischendurch erwartet – meine Berechnungen waren wohl nicht ganz korrekt.

Die Freude ist groß 🙂

„Du schaust noch gar nicht so fertig aus“ nahm ich als großes Kompliment auf 😉 Zurecht, denn sie war anderes gewohnt. Wir liefen und gingen gemeinsam die nächsten paar hundert Meter bis zum Schützenhaus und im Nachhinein meinte sie, dass sie begeistert davon war, wie gut man mit mir noch reden konnte. Ich war noch richtig klar im Kopf und nicht so verwirrt, wie bei anderen Läufen. Was sich zwar ein bisschen lustig anhört, ist eigentlich aber eine wirklich große Sache.

Ich denke ich war wirklich gut vorbereitet und durch die richtige Ernährung während des Rennens war ich auch mental viel fitter. Wir verabschiedeten uns mit einer weiteren Umarmung und konnten es kaum erwarten, uns im Ziel wieder zu sehen.

Nach einem weiteren Stück Kuchen und einem Becher Wasser ging es flowig durch den Wald und vorbei an dem wunderschön gelegenen Ferchensee – eine sehr idyllische Gegend.

Tagträumen und Energie tanken

Mittlerweile war das Läuferfeld schon viel weiter auseinandergezogen und es kam immer wieder mal vor, dass ich ein Stückchen alleine unterwegs war oder nur in der Ferne jemand anderen sah. Es ging nun teilweise auf Forststraßen entlang, was bedeutete, dass ich mich wenig konzentrieren musste. Das wurde mir teilweise aber fast zum Verhängnis, weil ich ins Tagträumen geriet und dadurch immer langsamer wurde. Ich war wohl doch etwas müde, denn es fühlte sich jedesmal an, als ob ich kurz eingeschlafen wäre, wenn ich wieder realisierte, dass ich eigentlich viel schneller gehen konnte. Also versuchte ich mich munter zu halten, indem ich ein flotteres Tempo wählte.

Ein Stück bestritt ich mit zwei Freunden aus Deutschland, die auch gerade ihren ersten 100er absolvierten. Es war eine schöne Abwechslung, sich mit ihnen zu unterhalten. Dieser Abschnitt fühlte sich generell ein bisschen an wie die Ruhe vor dem Sturm, denn der letzte große Anstieg mit über 1000 hm wartete noch vor uns.

Davor ging es nochmals ziemlich weit bergab und auf diesem Abschnitt überholten uns die Läufer der kürzeren Rennen, die erst heute Morgen gestartet waren und natürlich noch flottere Beine hatten. Doch auch meine Beine fühlten sich verhältnismäßig noch gut an. Mir tat nichts weh. Das ist nach ca. 80 Kilometern nicht selbstverständlich. So war eine Gruppe, die am 100er unterwegs war, recht erstaunt, als ich sie zusammen mit den Läufern der kürzeren Distanz überholte.

Unten ging es über die sehr beeindruckende Partnachklamm, bevor wir den letzten Berg bewältigen mussten. Mittlerweile wurden die Wolken immer dichter und es begann teilweise leicht zu regnen, aber das machte mir nichts aus.

Bald hörte ich Musik irgendwo aus dem Wald. Ich schaute mich um, sah aber nichts. Die Musik lief weiter, dazu hörte ich Gegröle, Applaus und Zurufe. Was konnte das sein? Vor mir lag ein Waldstück, durch das mich ein Steig etwa 800 hm bis zur nächsten Labestation brachte. Die Strecke war steil und anstrengend.

Da war die Musik, die immer lauter wurde, eine gute Ablenkung, denn ich dachte ständig darüber nach, was das wohl war. Ich wurde regelrecht angezogen von den Geräuschen, die Musik „trug“ mich den Anstieg hinauf.

Zegapa – Gänsehaut pur

Dort angekommen, stockte mir fast der Atem: Eine Menschenmasse hatte sich formiert, es wurde Musik gespielt, gejubelt und angefeuert, als wäre jeder Einzelne von uns ein Superstar. Ich lief durch einen Korridor aus Menschen, die klatschten und zuriefen und uns mit einer riesengroßen Freude feierten. Ich hatte Gänsehaut am ganzen Körper. Ein knappes „Danke“ brachte ich heraus, doch es hatte mir die Sprache verschlagen. Ein paar Meter entfernt, musste ich auf Schritttempo wechseln und mich erst einmal wieder sammeln. Tränen standen in meinen Augen und das Atmen fiel schwer. An dieser Stelle nochmals ein riesengroßes Dankeschön an die Gruppe, die die „Zegapa“ organisiert hatten.

Über eine Forststraße kam ich zur 9. Labestetion bei Kilometer 91. Dort traf ich einen Bekannten wieder, den ich auf einem Camp am Gardasee kennengelernt hatte. Nach einem gemeinsamen Foto marschierte ich weiter die steilen Hänge hinauf.

Wir waren nun mitten im Skigebiet und kurz bevor ich die höchste Stelle erreicht hatte, zog ich mir meine Regenjacke an, denn mittlerweile wurde der Regen mehr und hier heroben war es auch recht frisch. Dann ging es hinunter – vorsichtig, denn der Boden war steinig, erdig und nass und damit ziemlich rutschig. „Aperol, Gin Tonic, Spritzer,…“ hörte ich einen Mann rufen. Er hatte eine kleine Labestation aufgebaut, die eigentlich mehr eine Bar war. Gerne hätte ich zugegriffen, aber es waren noch 1200 Höhenmeter bergab vor mir, das war mir zu riskant.

Nach einem kurzen Dowhnhill ging es wieder bergauf. Normalerweise bin ich von solchen „Überraschungen“ zum Ende hin eher genervt, aber diesmal nahm ich es ziemlich gelassen. Ich nahm alles, wie es kam, weil es mir gut ging. Kurze Zeit später dachte ich, ich hätte mir verlaufen, weil vor und hinter mir plötzlich keiner mehr war. Auf die Markierungen hatte ich nicht geachtet. So lief ich weiter und hoffte, dass es richtig war. Mittlerweile war es sehr neblig und die Sicht nicht mehr gut. Aber dann hörte ich wieder die Musik und den Jubel, denn ich kam ein zweites Mal bei „Zegapa“ vorbei und da war ich wieder sicher, dass ich auf dem richtigen Weg war.

Der letzte Downhill

Und nun sollte es wirklich nur noch bergab gehen. Großteils auf Forststraßen ließ ich meine Beine und meinen Kopf einfach los und rannte, so schnell ich konnte. Ich überholte ein paar Mitstreiter und war einfach nur froh, dass bis jetzt alles so gut geklappt hatte. Ich konnte es kaum fassen, dass es mir immer noch so gut ging. Die letzte Verpflegungsstation ließ ich aus, ich brauchte nichts mehr. Ich wollte nur noch ins Ziel. Die Forststraße wurde irgendwann zur Asphaltstraße und kurz bevor ich unten angekommen war, musste ich ein Stückchen gehen. Ich hatte mich doch etwas angestrengt und für den Zieleinlauf wollte ich fit sein.

Sieht man mir die Anstrengung kurz vorm Ziel hier an? 😉

Was mir dann noch einmal alles abverlangte, waren die letzten rund 3 Kilometer, die relativ flach durch den Ort verliefen. Mir war heiß und ich war müde und ich konnte das Ziel nicht mehr erwarten. Immer wieder ging ich ein paar Schritte, weil ich es nicht durchgehalten hätte, noch alles zu laufen.

Ziel erreicht

Der letzte Kilometer war mir bekannt und als ich genau wusste, dass es wirklich nicht mehr weit war, beschloss ich, ab jetzt durchzulaufen. Nach ein paar Straßenkreuzungen war ich schließlich auf der Zielgeraden und schon von Weitem sah ich Viktor und Anna, die mir zujubelten. Im Lautspreche hörte ich meinen Namen, bog um die letzte Kurve und da war er: Der Zielbogen meines ersten 100er!

Als ich die letzte Zeitmatte überschritt, konnte ich mein Glück und meine Freude kaum fassen. So fiel ich meinen treuen Begleitern einfach unfassbar dankbar um den Hals.

Realisieren würde ich das alles wohl erst später können. Es ist nicht einfach zu beschreiben, was auf über 100 km (auf meiner Uhr waren es 108 km) und 5400 hm innerhalb von 19 Stunden und 37 Minuten alles passiert, was du erlebst, welche Gedanken du hast.

Ich kam als 23. Frau (von 92 gemeldeten) bzw. 15. Frau in meiner Altersklasse ins Ziel und war damit mehr als glücklich und dankbar.

Angekommen im Zielraum, wusste ich gar nicht so recht, was ich jetzt machen sollte. Also ging ich einfach einige Meter weiter. Doch dann fiel mir wieder ein, dass ich ja bereits die letzten Stunden von einem alkoholfreien Bier geträumt hatte, mit dem ich mit Anna & Viktor anstoßen konnte. Gesagt, getan. Und es schmeckte köstlich.
Das Zweite, was ich unbedingt brauchte, war eine Dusche. Und das Dritte eine Zahnbürste. Wir beschlossen, dass wir das gemütliche Abendessen im Restaurant, das wir eigentlich geplant hatten, mit Pizza im Hotelzimmer zu ersetzen. Das war im Endeffekt dann noch gemütlicher und ich konnte meine müden Beine und geschundenen Zehen entlasten. Und auch das schmeckte köstlich 😉

Gedanken danach

Wenn ich heute an den Zugspitz Ultratrail und damit meinen ersten 100er denke, empfinde ich Dankbarkeit und Freude. Da sind keine negativen Gefühle, die ich bei anderen langen Rennen, die ich bestritten habe, doch auch ein wenig spüre. Die Organisation war meiner Ansicht nach wirklich gelungen, da hatte ich aber auch keine Bedenken, denn Plan B kannte ich schon vom Transalpine Run und da war auch alles wunderbar.

Und warum macht man sowas? Als Antwort auf diese Frage, müsste wohl ein eigener Artikel geschrieben werden. Aber speziell bei diesem Rennen war es mein großes Ziel, diese „magische“ Grenze von 100 Kilometern zu überschreiten und das in einem Zustand, wo es meinem Körper und meinem Geist immer noch gut geht. Und das hatte ich geschafft. Hatte ich unterwegs mal leichte Zweifel oder kleine mentale „Hänger“, hatte ich mittlerweile einen Weg gefunden, mich selbst zu motivieren. Unter anderem war das auch der Gedanke, dass ich das alles freiwillig machte und dankbar sein durfte, dass mein Körper das alles mitmacht, der mir wieder Kraft und Mut gab. Dann konnte ich wieder richtig fokussieren.

Was ich auch gelernt hatte, war die enorme Bedeutung der Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme. Dein Körper ist extremen Strapazen ausgesetzt und damit er das gut und gesund schaffen kann, ist es wichtig, sich damit genauer zu beschäftigen. Über 100 Kilometer sind keine Kleinigkeit mehr und man sollte sich hier nicht mehr nur auf sein Halbwissen verlassen. Ich habe den Unterschied deutlich gespürt und in vielen Bereichen hat es mir die Augen geöffnet.

Zu guter Letzt sind die positiven Nachrichten von Familie und Freunden das „i-Tüpfelchen“, das dich das Rennen finishen lassen. Diesmal waren auch Song-Empfehlungen von „Don’t stop me now“ bis „The Final Countdown“ dabei und ich musste belustigt feststellen, dass mir auch diese Lieder wirklich Energie gaben 😉
Es ist ein unglaublich schönes Gefühl, wenn du siehst, dass du all die Stunden über verfolgt wirst (vor Ort oder in Gedanken) und mitgefiebert wird und du mit motivierenden und lustigen Nachrichten zum Schmunzeln gebracht wirst. Egal wie hart es gerade ist. DANKE euch dafür!

DANKE möchte ich auch nochmals meiner Trainerin Sigrid Eder und Ernährungsexpertin Juli Brüning sagen, die mich in der Vorbereitung so sehr unterstützt haben!

Und hier noch ein personalisiertes Video, das alle Teilnehmer*innen erhielten – danke Plan B! 🙂

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