Lavaredo Ultra Trail 2025 – 122 Kilometer durch die wunderschönen Dolomiten

Sieben Monate war der Lavaredo Ultra Trail by UTMB mein großes läuferisches Ziel, das ich ständig vor Augen hatte.

Die Entscheidung für diesen 122-Kilometer-Ultratrail durch die wunderschönen Dolomiten fiel allerdings ganz spontan, aber so entstehen bekanntlich manchmal die besten Geschichten.

Unverhofft kommt oft

Bei einem Morgenlauf mit Freuden in Gastein unterhielten wir uns über die Laufpläne fürs nächste Jahr und u.a. erwähnte ich den Lavaredo, weil ich gehört hatte, dass er landschaftlich sehr schön sein sollte. Dass ich mich dabei um einen Startplatz bewerben (indem ich gewisse ITRA Punkte vorweise) und dann auf eine Auswahl in der Lotterie hoffen muss, war mir zu diesem Zeitpunkt nicht klar. Das Gespräch war sozusagen eine Punktlandung, denn am nächsten Tag war Bewerbungsschluss und so habe ich mein Glück versucht.

Am 22.11.2024 erhielt ich dann das Mail mit der Überschrift „Congratulations Theresa!“. Ich hatte einen der begehrten Startplätze des Lavaredo tatsächlich erhalten. Noch etwas unsicher, was mich hier nun tatsächlich erwartete, überwies ich die Teilnahmegebühr und hatte damit nicht nur den Start besiegelt, sondern indirekt auch die Gestaltung meiner nächsten Monate fixiert.

Der Weg ist das Ziel

Ab Märze trainierte ich nach einem gezielten Plan, diesmal mit Unterstützung von Thomas Bosnjak. Es war nach dem Innsbruck Alpine Trailrun Festival und dem Zugspitz Ultratrail das dritte Rennen, auf das ich mich mit einem/r Trainer*in vorbereitete und jede*r hatte seine eigene Herangehensweise. Für mich war es spannend, wieder eine neue Methode kennenzulernen. War ich anfangs von 7-8-stündigen Läufen am Wochenende überrascht, so gewöhnte ich mich bald daran und genoss es, nicht selbst nachdenken zu müssen, welche Einheiten wann am besten waren, sondern mich ganz auf den Plan verlassen zu können. So verging Woche um Woche bis schließlich der 27.6. vor der Tür stand.

Kurzzeitig durch einen Kratzer auf der Hornhaut des rechten Auges, der zu einem ständigen Brennen und Tränen führte, am Vortag noch gehandicapt, reisten wir am Freitagvormittag mit Tropfen aus der Augenklinik nach Cortina an, dem Start- und Zielort des Lavaredo.

Nachdem ich die Startnummer abgeholt hatte, spazierten wir durch den Ort, um den Start-/Zielbereich zu erkunden und das Flair auf uns wirken zu lassen. Die Rennen waren bereits im Gange und zufällig konnte ich genau Manu bei ihrem Zieleinlauf des 50k Rennens anfeuern 🙂

Danach fuhren wir in unsere Unterkunft, die weiter entfernt war als gedacht und gefühlt im Nachbartal lag. Dafür waren die Ruhe und die Aussicht grandios. Ich legte mich aufs Bett und versucht zu schlafen, was natürlich nicht gelang. Aber die Augen zu schließen und einfach in mich zu gehen, das tat auch gut.

Die nächste Hürde

Als ich begann, meine Ausrüstung vorzubereiten, entdeckte ich das nächste Handicap, das mich kurzzeitig ziemlich aus der Bahn warf: Meine Trinkblase hatte ein kleines Loch! Und Ersatzteile hatte ich nicht mit (Erinnerung an mich: Ausrüstung immer vor der Abfahrt nochmals checken!). Panisch überlegte ich, was ich machen sollte, kontaktierte einen Bekannten, der im Ort unten war – vielleicht konnte er in der Expo noch ein Ersatzteil für mich kaufen? Allerdings war es leider zu spät, denn sie hatte nur noch 10 Minuten geöffnet. Doch nicht verzagen, Viktor fragen: Als er von seinem Lauf zurückkam und ich ihm mein Leid klagte, packte er kurzerhand ein Tape aus, sichtlich erfreut, dieses „megastarke“ Teil endlich einmal nutzen zu können.

Während dem Lauf später war ich in den ersten Stunden immer wieder leicht nervös, ob die Nässe, die ich in meinem Rücken fühlte, tatsächlich vom Schwitzen kam oder etwa doch von der undichten Blase, aber das Tape hielt und bald machte ich mir darüber keine Sorgen mehr.

Der Start

Gegen 21.00 Uhr fuhren wir wieder in den Ort, ich gab mein Dropbag ab und wir setzten uns in ein Restaurant. Ich aß noch ein Stückchen Weißbrot und trank Wasser, während ich etwas neidisch auf die Pizzen, Spaghetti und Aperol rund um mich blickte. Morgen dann! 😉

Gegen 22.30 Uhr machte ich mich auf den Weg zum Start und reihte mich ein. Die Stimmung war großartig, die Temperaturen sehr angenehm und ich fühlte mich bereit!
Erst kurz vor dem Startschuss um 23.00 Uhr merkte ich, dass ich mich ganz hinten befand und eine der letzten war, die die Startlinie überquerte. So ging es für mich erst um 23.12 Uhr los und als mich selbst so weit hinten noch einige überholten, hoffte ich, nicht schon bald das Schlusslicht zu sein.

Nachdem wir die Asphaltstraße, die aus Cortina hinausgeführt hatte, hinter uns ließen, ging es schon bald auf die Trails in die Nacht hinein und die ersten Höhenmeter hinauf und hinab. Aufgrund der vielen Läufer*innen rund herum war das Tempo gemütlich, zum Überholen war es zu eng. Außer für einige wenige, die bereits zu Beginn dachten, dass sie mit unkoordinierten, rücksichtlosen Überholmanövern schon jetzt einen Platz aufholen mussten. Aber solche Ausnahmen gibt es immer.

Ansonsten verliefen die ersten Stunden ruhig, gleichmäßig, ohne viel Gerede und doch empfand ich die Stimmung als positiv. Immer wieder wurden wir angefeuert, selbst mitten in den Wäldern und mitten in der Nacht standen plötzlich einzelne Personen oder Gruppen am Wegrand und motivierten uns mit Klatschen, aufmunternden Worten und Musik.

Ich fühlte mich gut und konzentrierte mich auf mich, gleichzeitig genoss ich es, von so vielen Gleichgesinnten umgeben, Teil einer großen Gruppe zu sein.

So gerne ich in der Nacht laufe und diese gedämpfte Stimmung schätze, in der die Zeit irgendwie schneller vergeht, so freute ich mich aufs erste Morgendämmern und bald darauf die ersten Sonnenstrahlen auf den Bergspitzen rund um mich zu sehen. Hier erahnte ich schon, welch beeindruckende Landschaft dieser Tag noch für mich bringen würde.

Etwa eine Stunde später, um 6.30 Uhr, erreichte ich die Verpflegungsstation Misurina bei km 42. Rund ein Drittel hatte ich geschafft.

Essen nach Plan

Bisher hatte ernährungstechnisch alles gut funktioniert. Ich konzentrierte mich darauf, jede halbe Stunde ein Gel oder einen gleichwertigen Ersatz zu essen und viel zu trinken. Meine Blase füllte ich immer wieder mit Wasser an den Labestationen auf und mischte dann meine eigenen Elektrolyte dazu. So wusste ich, was ich trank. An den Stationen holte ich mir dann entweder Wasser oder Cola oder beides gemischt. Ebenso nahm ich mir immer ein paar Kleinigkeiten zu essen wie Tomaten mit Salz, Weißbrot mit Marmelade oder Käse, Kuchenstückchen oder Gummibärli. Ich wollte mich auf keine Experimente einlassen, versuchte auf meinen Körper bei der Speisenauswahl zu hören und vor allem nie zu viel zu nehmen.

Als ich aus dieser Verpflegungsstation hinausmarschierte, den letzten Bissen hinunterschluckte und mein Cola austrank, fühlte ich mich frisch und fit und ich rannte in den Tag hinein. Es würde ein langer Tag warten, aber ich war motiviert und zuversichtlich.

Die Schönheit der Dolomiten

Der Weg führte an einem See relativ flach vorbei, bevor es dann wieder bergauf ging, den Drei Zinnen entgegen. Durch Wälder und über Wiesen ging es immer weiter hinauf, ständig umgeben von den beeindruckenden felsigen Bergspitzen, die in der Morgensonne leuchteten. Im Schatten war es noch angenehm kühl, doch sobald ich in die Sonne kam, spürte ich schon, dass diese heute noch ordentlich Kraft haben würde. Je höher wir kamen, desto mehr Touristen tummelten sich auf den Wegen und Straßen – kein Wunder bei dieser traumhaften Kulisse. Immer wieder wurden wir von diesen angefeuert und teilweise auch erstaunt betrachtet.

Kurz vor der höchsten Stelle, dem Paternsattel (Forcella Lavaredo) auf 2454 m flitzte plötzlich von rechts ein Läufer hinter einem Stein hervor, vor mir auf den Weg und schon war er wieder weg. Kurze Zeit darauf noch einer. Und dann noch einer. Es dauerte – möglicherweise aufgrund der rund 10 Stunden, die ich schon unterwegs war – eine Weile, bis ich begriff. Die Teilnehmer*innen der 80-km-Strecke kamen hier von einer anderen Seite herauf und teilten sich ab jetzt den Trail mit uns.

Das ständige Überholen sollte bis zu meinem Zieleinlauf so bleiben. Ich versuchte natürlich, jedes Mal so schnell und gut wie möglich Platz zu machen, wenn ich wieder jemanden von hinten aufholen hörte, auch wenn das auf den engen Downhills nicht immer ganz einfach war. Aber irgendwie ging es immer und meistens erhielt ich dafür ein dankbares „Grazie“ oder „Thank you“.

Und dann waren sie plötzlich da, zum Anfassen und riesig groß, direkt neben mir: Die markanten „Drei Zinnen“. Ein Anblick, den ich so schnell nicht vergessen werde, wie sie im Morgenlicht strahlten.

Unzählige Selfies wurden gemacht und auch der Fotograf war bereit, um von den Teilnehmer*innen DAS Foto des Laufs zu machen. Ein Vorteil, wenn man nicht zu den Schnellsten gehört – man bekommt das Bild im Tageslicht und nicht bei Nacht, wo man von dem beeindruckenden Hintergrund nur wenig sieht.

Bald folgte ein steiler Downhill, der es mit seinen vielen Steinen ganz schön in sich hatte. Und danach wartete eine ewig lange flache Passage, die einfach nicht aufhören wollte. Ich hatte diese 15 km zwischen dem höchsten Punkt und der nächsten Labestation – die große, wo sich mein Dropbag befand – ziemlich unterschätzt. Es ging eine Forststraße teilweise leicht bergauf durch lichtdurchflutete Wälder, licht – und wärmedurchflutet. Es wurde immer wärmer und die Sonne brannte schon ziemlich auf meiner Haut. Aber ich biss die Zähne zusammen und lief weiter.
„Wenn ich gehe, dauert es noch länger und tut genauso weh“ – ich glaube, zu diesem Zeitpunkt hatte ich diesen Gedanken zum ersten Mal an diesem Tag. Es sollen noch viele weitere Male kommen.

Mehr als die Hälfte geschafft

Irgendwann kam das heiß ersehnte Schild, dass die Verpflegungsstation gleich erreicht war und ich war wirklich erleichtert. Und gleichzeitig blieb mir schon wieder fast der Atem weg: der Einlauf ins Gelände ähnelte schon einem kleinen Zieleinlauf, von allen Seiten wurde mir gut zugeredet, geklatscht, motiviert. Unglaublich viele Menschen waren auf der Wiese um das Zelt herum verteilt, betreuten ihre Bekannten, Freunde oder Familienmitglieder mit spezieller Nahrung, frischer Kleidung, einer Massage, einer Umarmung oder einfach nur einem Lächeln. Die Teilnehmer*innen standen, hockten, saßen und lagen überall herum, ein Wirrwarr aus Menschen, Ausrüstung und Essen machte mich fast etwas schwindelig.

Ich suchte mein Dropbag und alles war so gut organisiert, dass ich es nach wenigen Sekunden hatte. Auf einem schattigen Plätzchen auf der Rückseite des Zelts machte ich mich frisch, cremte mich mit Sonnencreme ein, zog ein frisches T-Shirt an – eine Wohltat. Der Rucksack wurde mit neuen Gels und Snacks aufgefüllt, Müll wurde entsorgt, fertig. Nun stand ein Durchgang durch das „Buffett“ am Programm, das Dropbag wurde mir sofort abgenommen und ich marschierte aus dem Zelt hinaus.

Ein Blick zurück auf die Verpflegungsstation

Nach wenigen Metern lief ich wieder los und wenige weitere Meter später hörte ich plötzlich jemanden meinen Namen rufen. Viktor war überraschenderweise hierher gekommen und hätte mich fast verpasst. Ich freut mich sehr, ihn zu sehen und ein Stück gemeinsam mit ihm zu laufen. Doch schon bald verabschiedeten wir uns wieder und für mich ging es den nächsten Uphill hinauf. Mittlerweile war es Mittag und richtig heiß, daher war ich froh über die schattenspendenden Bäume, durch die die Forststraße führte. Das sollte sich nach der nächsten Labstation ändern.

Kampf gegen die Hitze

Wir kamen in eine Hochebene, grundsätzlich sehr schön, zu diesem Zeitpunkt aber unerträglich. Zwischen steilen Berghängen war eine Art Flussbett aus Steinen, komplett ohne Schatten, ein kleines Bächlein am Rand und Latschen. Die Luft stand, mein Körper glühte und ich hatte das Gefühl, hier nie wieder rauszukommen. Ich aß und trank, aber das half nichts. Mein Magen wollte nicht mehr mitspielen und mir wurde zu allem Überfluss auch noch schlecht. Ich war aber nicht die einzige, die kämpfte, auch um mich herum wurde gekeucht und geflucht.

Zwischendurch sah ich Familien mit Kindern herumspazieren und ich dachte, die seine völlig verrückt. Sehe ich mir das Tal im Nachhinein auf der Karte an, ist es eigentlich gar nicht so verrückt, nicht so lang, sondern überschaubar. Aber für mich war es höllisch.

Ich konnte nicht erahnen, wo und wann wir da wieder rauskamen. Am Bach kühlte ich mir immer wieder Arme und Beine und meinen Kopf, setzte mir eine mit Wasser gefüllt Kappe auf. Aber das waren nur Tropfen auf dem heißen Stein. Als der Steinboden irgendwann überwunden war, ging es aufwärts, weiterhin ohne Schatten und gab es doch mal irgendwo ein kleines Plätzchen, saß oder lag dort ein*e Mitstreiterin und erholte sich so gut es ging. Jede kleine Wasserstelle wurde von allen zum Kühlen genutzt.

Einmal, als ich schon fast keinen Fuß mehr vor den anderen setzen konnte, blieb ich auch in so einem Schattenplatz kurz stehen, doch die Luft stand still und die Hitze war dieselbe, deshalb ging ich weiter. Schritt für Schritt. Es war unglaublich anstrengend und die Übelkeit blieb mein verlässlicher Begleiter. Immer wieder blickte ich auf die Uhr und das Streckenprofil, um irgendwie herauszufinden, wann dieser verdammte Abschnitt endlich geschafft war, aber so wirklich konnte ich es nicht erkennen.

Fata Morgana oder Rettung?

Als ich immer höher kam, spürte ich manchmal ein klitzekleines Lüftchen und ich hatte wieder Hoffnung, dass es irgendwann besser wurde. Und plötzlich, auf einer Art Sattel, stand da plötzlich ein Rettungssanitäter mit einer Flasche Cola in der Hand. Habe ich jetzt schon Halluzinationen? Nein, der Mann und das Cola waren echt und nach zwei vollen Bechern war ich ein neuer Mensch. Das war meine Rettung – DANKE unbekannterweise. So schaffte ich auch noch den weiteren Anstieg, bevor es auf einer Schotterstraße ein längeres Stück bergab ging.

Schritt für Schritt und Schokolade

Mittlerweile tat mir vor allem beim Downhill schon der gesamte Körper weh, selbst die Unterarme fühlten sich bei der Erschütterung unangenehm an. Wahrscheinlich kein Wunder nach 90 km und über 4000 hm. Ein letzter kurzer Anstieg und die nächste Labestation bei der Col Gallina erwartete mich. Und mit ihr Viktor – diesmal wusste ich Bescheid, dass er da war. Die Stimmung war wieder bombastisch, so viele Menschen rundherum und alle wollten nur das Beste für einen. Ich nahm mir wieder ein paar Kleinigkeiten zu essen, diesmal vor allem auch Schokolade, weil mir immer noch schlecht war. Dazu eine Cola-Wasser-Mischung. Die Pause war nur kurz, ich wollte nicht zu viel Zeit verlieren. Es lagen immer noch rund 25 Kilometer vor mir und es war schon etwa 17.30 Uhr.

Ich war wieder etwas gestärkt und der positive Zuspruch während der Pause hatte mir gut getan. Ich wusste, dass ich es schaffen würde, es war nur mehr die Frage, wie lange es dauern würde. Auch, dass die Hitze des Tages langsam etwas abnahm, tat mir extrem gut.

Das nächste Ziel war die Rifugio Averau auf 2417 m Seehöhe. Immer noch war es unglaublich schön rundherum und die allmählich tiefer stehende Sonne tauchte alles in besonders schöne Farben. Ich fand ein gutes Tempo und stapfte Schritt für Schritt nach oben. Man spürt es bei solchen Rennen immer, wenn sich von hinten jemand nähert und überholen will. Wenn ich unsicher bin, frage ich nach und so tat ich es auch diesmal bei einem Mitstreiter, der aber sofort abwinkte und hinter mir bleiben wollte. Hin und wieder wurden wir von anderen überholt, manchmal überholten wir, manchen schlossen sich unserer Gruppe an. Aber er blieb an mir hängen bis wir die rund 400 hm überwunden hatten.

Mit „Thank you, Theresa“ und „my pleasure“ verabschiedeten wir uns oben und gingen wieder unsere eigenen Wege.

Durch zahlreiche Whatsapp Nachrichten (DANKE an alle!!), die ich an besonders anstrengenden Stellen immer wieder las, wusste ich, dass ich langsam aber stetig dabei war, das „Feld von hinten aufzurollen“. Meine Startposition, die so weit hinten war, mittlerweile keine Auswirkung mehr hatte. Ich beobachtete zwischendurch immer wieder, dass ich hin und wieder eine Frau überholte, selbst aber schon lange von keiner mehr überholt worden war.

Das nächste Ziel war der Passo Giau und wenn ich mich nicht gerade auf irgendwelche Schmerzen konzentrierte, war ich einfach nur erstaunt von dieser traumhaften Landschaft. Möglicherweise ist man nach über 100 km in den Beinen noch mehr begeisterungsfähig als sonst für die Schönheit der Natur. Ich war jedenfalls total geflasht und hätte am liebsten gesungen.

Nach einem Schluck Cola und Schokolade an der Labe ging es weiter. Mittlerweile war die Temperatur richtig angenehm. Als ich nach einem flachen Stück frohen Mutes um eine Kurve bog, traute ich meinen Augen kaum. „Nicht euer Ernst“ hörte ich mich plötzlich laut sagen, als ich einen extrem steilen Anstieg vor mir sah, den sich meine Mitstreiter*innen hinaufkämpften. Das hatte ich bei dem kleinen Strich nach oben im Höhenprofil nicht erwartet. Sonst vermutlich auch keiner. Aber was sein muss, muss sein. Nach ein paar quälenden Schritten zu Beginn, fand ich mein (langsames) Tempo, schaltete mein Hirn aus und war irgendwann oben.

In diese Scharte zwischen den beiden Felsformationen mussten wir hinauf

Abendfriede

Auf der Rückseite der Scharte war es schattig und angenehm kühl und ich lief erleichtert hinunter. Alles um mich herum war nun friedlicher, man spürte, dass jeder dem Ziel entgegenlief. Ohne Hektik, sondern im Wissen, es zu schaffen und etwas Großartiges geleistet zu haben. Es wurde nicht mehr viel gesprochen. In der Ferne hörte ich eine Glocke, der ich immer näher kam. Auf einem Felsen saß ein Streckenposten, der jede*n Läufer*in persönlich beim Namen ansprach und alles Gute wünschte. Ich lächelte ihn dankbar an, aber mehr als ein leises Stöhne brachte ich nicht heraus. Ein letzter, diesmal wirklich eher kurzer Anstieg folgt und danach sollte es nur noch bergab gehen, etwa 12 Kilometer lang.

In der Ferne sah ich Cortina im Abendlicht und ich freute mich unglaublich darauf, endlich dort zu sein.

Und wieder biss ich die Zähne zusammen, denn selbst mein Bauch tat mir weh, bei jedem Schritt, den ich nach unten lief. Aber Gehen dauert noch viel länger… eh schon wissen. So versuchte ich meine Gedanken woanders hinzulenken oder einfach auszuschalten, so ganz hatte ich das ohnehin nicht mehr unter Kontrolle.

Mein neues Ziel war es, weniger als 24 Stunden zu brauchen. Während der ersten Hälfte des Rennens war ich so gut in der Zeit, dass ich schon mit einer Dauer um die 22 Stunden liebäugelte. Aber da hatte ich die Hitze und die zunehmende Anstrengung und Müdigkeit nicht einkalkuliert.

An der vorletzten Labestation trank ich nochmals Cola und bat einen jungen Helfer um Schokolade. Ich wollte mir eine für unterwegs mitnehmen, weil ich wusste, dass sie das einzige war, um meine Übelkeit irgendwie in Zaum zu halten. Er gab mir 2 Stückchen. Ich bat um mehr. Er gab mir 2 weitere Stückchen. Ich bat um mehr. Er gab mir nochmals 2 Stückchen. Damit war ich zufrieden und wir musste gleichzeitig lachen.

In die Nacht

Langsam wurde es dunkel und nachdem ich eine Weile durch den Wald weiter hinunterlief, musste ich schließlich meine Stirnlampe wieder auspacken. Ich sah nur mehr wenige andere Teilnehmer*innen und war jedes Mal froh, wenn ich irgendwo ein Licht durch den Wald huschen sah. Somit war ich auf dem richtigen Weg. Das Sehen machte mir zunehmend Schwierigkeiten und ich musste mich sehr konzentrieren, die Müdigkeit machte sich deutlich bemerkbar. Ich war bereits rund 38 Stunden durchgehen munter, 22 davon im Laufschritt. Ein sehr steiler, erdiger, rutschiger Abschnitt forderte nochmals meine volle Aufmerksamkeit, bis es danach wieder sanfter wurde.

Die ersten Häuser tauchten auf, der Wandersteig wurde zum Wiesenweg und schließlich erreichte ich die Ausläufer von Cortina. Am Rande der Ortschaft saß ein Mann vor seinem Haus, 2 riesige Platten mit aufgeschnittene Wassermelone, daneben ein zur Dusche umfunktionierter Gartenschlauch. Ich dankte ihm vielmals, auch wenn ich von seiner Großzügigkeit keinen Gebrauch machte. Stattdessen schob ich mir ein letztes Stückchen Schoko in den Mund und war über den Asphalt unter meinen Sohlen dankbar.

Die letzten Meter – endlich geschafft

Ich sauste durch die dunklen Straßen, immer wieder von Applaus begleitet, der irgendwo herkam und schließlich erkannte ich, wo ich war. Das Ziel zum Greifen nahe. Eine letzte Kurve hinunter, dann ein kleines Stückchen bergauf, wo ich nochmals ins Gehen wechselte und meine letzten Kräfte sammelte. Dann lief ich die letzten Meter hinauf, um die Kurve, die ich schon vom Vortag kannte und bog in die Zielgerade ein. Von allen Seiten wurde mir zugejubelt, ein Mann deutete mir dankenswerterweise an, die Stirnlampe auszuschalten, was ich sogleich tat, Biergläser wurden mir hingehalten, Viktor winkte mir und lief hinter mir her. Zahlreiche Hände trommelten auf die Banden links und rechts, Musik heizte die Stimmung noch mehr auf, ich strahlte übers ganze Gesicht. Schmerzen waren vergessen, es fühlte sich fast an wie fliegen. Mein Name durch den Lautsprecher und da war der entscheidende Schritt getan: Die Ziellinie war erreicht.

Gleich danach wurde mir die Medaille um den Hals gehängt und ich konnte es kaum fassen, wirklich hier zu sein.

Voller Dankbarkeit, Zufriedenheit, Freude und sogar ein Hauch von Melancholie, aus dieser Blase wieder auszusteigen, in der ich mich so lange befunden hatte, versuchte ich mich zu sammeln, bevor ich Viktor um den Hals fiel.

Was will man danach als erstes machen? Diese Frage wird mir oft gestellt. Zunächst wollte ich unbedingt ein alkoholfreies Bier, was wir aber leider vergeblich suchten. Daher wurde es erst einmal ein Wasser und Melone. Danach gingen wir zum Olympischen Eisstadion, wo mein Dropbag und das Finisher-Essen (Nudeln mit Gemüse, vegetarische Variante) auf mich warteten. Beides holte ich ab und nahm es zum Auto mit, weil mein zweiter größter Wunsch nach dem Zieleinlauf eine Dusche und der dritte ein Bett waren. Nachdem wir rund 40 Minuten zur Unterkunft fuhren, aß ich im Auto und für den zweiten Hunger, der nach so einem Rennen mit Sicherheit kam, hatten wir eine Pizza mitgenommen.

Die heiße Dusche war unglaublich wohltuend, ein Stück Pizza tat ebenso noch sehr gut und dann, endlich, fiel ich in einen Schlaf, der zwar nicht so tief , aber trotzdem mehr als notwendig war.

Der Blick am Morgen aus dem Hotelzimmer 🙂

Daten & Danke

Ich bewältigte die 122 km und 5640 hm in 23 Stunden und 12 Minuten. Von 1632 Starter*innen erreichte ich Platz 656, von 252 Frauen wurde ich die 66.
Für mich ein Happy End 🙂

Zum Schluss darf ich DANKE sagen, an alle, die mich auf dem Weg dorthin und bis ins Ziel unterstützt haben. Auch wenn man immer selbst laufen muss, ist es doch von unsagbarem Wert, dabei begleitet zu werden, sei es durch das Schreiben eines guten Trainingsplans, durch viel Verständnis während der Trainingszeit, durch die Betreuung vor Ort und die mentale Begleitung durch das Rennen. Danke ❤️
Der Lavaredo Ultra Trail war eine fantastische Erfahrung, bestens Organisiert von vorne bis hinten – DANKE dem gesamten Team!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert