Zieleinlauf Tag 4: Der Ersehnteste
So lange ersehnt, weil sich vor allem die letzten Kilometer sehr in die Länge zogen. Das Ziel schien unerreichbar. Vielleicht kam uns das aber auch nur so vor. Die Etappe war mit 46 km immerhin die längste der ganzen Woche.
Frühstück um 05:30, Abfahrt nach Landeck um 06:00, Start um 07:00 Uhr. Früh begann also der vierte Tag und zum ersten Mal getapet stand ich nervös am Start. Petra hatte ebenso mit ihrem Knie und ihrem Fuß zu kämpfen. Die Anspannung war uns mit Sicherheit anzusehen.
Die ersten 5 Kilometer ging es flach dahin. Langsam versuchten wir uns, auf die heutige „Königsetappe“ vorzubereiten. Ich musste mich im wahrsten Sinne des Wortes erst akklimatisieren, denn das Atmen viel mir ziemlich schwer.
Beim ersten Anstieg von insgesamt 1600 Höhenmeter gewannen wir bald an Höhe, das Atmen ging leichter, das Tape auf meinem Knie wirkte Wunder, der Nebel wurde immer weniger, bis wir ihn schließlich komplett unter uns ließen und uns die Sonne vom blauen Himmel begrüßte.
Das Panorama war unglaublich schön. Unter uns ein Wolkenmeer, vor uns eine bunte Schlange an Trailläufern und um uns eine wunderschöne Bergkulisse. Der Weg führte uns vorbei an mehreren Liftstationen und großen Skihütten und wir trafen auf viele Wanderer, die uns mit ihrem Applaus und Glückwünschen motivierten.
Ein kurzes Stück ging es über einen sumpfigen Hang, der einer Chinesin vor uns zum Verhängnis wurde. Bis zum Knie steckte sie im Schlamm und als sie endlich herauskam, sank sie mit dem anderen Fuß genauso tief ein. Sie musste selbst so lachen, dass das Weiterkommen noch schwieriger wurde. Damit steckte sie alle um sich herum aber so an, dass wir alle aufpassen mussten, nicht selbst im Dreck zu landen. Ich konnte mich einige Meter von diesem Lachanfall nicht erholen.
Danach ging es bis zum Talschluss sehr ruhig weite. Eine angenehme Ruhe, die für den Kopf sehr entspannend war. Nach der zweiten Labestation am Arrezjoch folgte ein wunderschöner Anstieg bis zur Ochsenscharte, dem höchsten Punkt des Tages auf 2787 hm. Um uns herum ragten 3000er in die Höhe, die steinige Landschaft wurde von glasklaren Gebirgsseen aufgelockert. Ein Traum.
Körperlich war ich heute verhältnismäßig wirklich fit, sodass mir der anschließende Abstieg keine allzu großen Schmerzen bereitete. Es tat sogar ganz gut, auf der Forststraße ohne viel zu denken einfach dahinzulaufen. Es kann allerdings auch sein, dass ich mich an die Wehwehchen mittlerweile einfach gewöhnt hatte. Sie gehören einfach dazu. Und man schafft es auch irgendwie. Petra war schon seit 30 Kilometern mit Schmerzen im Fuß unterwegs. Wenn man darüber nachdenkt, kann man es wohl nur schwer nachvollziehen, wie das geht. Humor ist auf jeden Fall eine wichtige Komponente, die es ein bisschen leichter macht. Daher versuchte ich auch, sie immer wieder abzulenken. Blödsinn zu reden viel mir mittlerweile ohnehin nicht mehr besonders schwer. „Herr, lass neue Knie und Fußplatten regnen“ war heute unser Wunsch.
Die letzte Labestation kam schneller als gedacht und gestärkt marschierten wir den flachen Höhenweg weiter. Der Weg bis nach Samnaun zog sich dann allerdings ziemlich. Nach jeder Kurve vermuteten wir das Ziel, aber immer wieder sahen wir irgendwo weit hinten wieder ein Team laufen. Dabei wären wir schon sooo bereit gewesen für den Zieleinlauf. Wir machten das beste aus der Situation und blödelten herum. Es konnte sich schließlich nur noch um Stunden handeln. Selbst als wir das Ortsschild von Samnaun erreichten, war weit und breit kein Ziel zu sehen. Wir kamen am Schild zum TAR-Camp vorbei. Lange konnte es also nicht mehr dauern. Ein weiterer Wiesenweg, ein kleine Anstieg, eine – möglicherweise letzte – Kurve? Nein, weiter Richtung Talschluss erblickten wir wieder zwei Teams, die wohl ebenso kämpften. Das „1 km to go“ Schild war uns diesmal ein Foto wert. Keines hat sich je so vor uns gewehrt wie dieses 🙂
Irgendwann war es dann doch soweit und wir hörten den Zielsprecher. Andere Läufer kamen uns entgegen und munterten uns auf: „Gleich habt ihr’s geschafft“. Und es war wirklich so – der Zielbogen war zu sehen und kurz darauf auch schon durchlaufen. Die Königsetappe war geschafft.
Wir bezogen ein wunderschönes Hotel und es war einfach nur herrlich, dass wir in diesem nun für zwei Nächte untergebracht waren. Die Pastaparty fand auf der Bergstation der Alp Trida statt, wo wir ein wunderschönes Panorama genießen konnten. Generell war Samnaun ein idyllisches Bergdorf, das seine Gäste mit sehr viel Herzlichkeit aufnahm.
So war es auch kein Problem, um etwa 22:00 Uhr im Nachbarhotel noch nach Topfen zu fragen. „Zum Essen?“ war der Kellner erstaunt. Nein, der war für unsere Knie 🙂
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3 Antworten auf „Transalpine Run 2019 – Etappe 4“