Immer dieselbe schwierige Frage: Was ziehe ich an?
Ich bin zwar noch nie einen Marathon im Flachen gelaufen, dafür lag am Samstagmorgen mit dem Kaisermarathon Söll, dem Highlight der Tour de Tirol, mein erster Bergmarathon (wenn man den Schwarzach Trail nicht mitzählt, der sogar länger war) vor mir. Leichtsinnig oder mutig? Aufregend war es auf jeden Fall! 🙂
„Hoffentlich regnet es nicht“ war mein erster Gedanke, als ich am Morgen nach dem Söller Zehner aufwachte. Ein Blick aus dem Fenster zeigte Wolken und leichtes Nieseln. Weil die Veranstalter ebenso auf besseres Wetter hofften wie wir, wurde der Start um eine halbe Stunde nach hinten verlegt, was mir nur recht war. Nach einem üppigen Frühstücksbuffett, das ich leider nicht in vollen Zügen ausnutzen konnte (obwohl mein Magen einiges verträgt, sind Weißwürste, Lachs und Croissants vielleicht doch nicht ideal vor so einem Lauf), wechselte ich ungefähr noch fünf Mal mein Outfit, bevor ich fertig war. Ich konnte mich nicht entscheiden, ob es der Rock oder eine Hose sein sollte, davon war wiederum die Wahl der Kompressionsstrümpfe abhängig, die natürlich farblich passen sollten. Danach die Wahl der richtigen Schuhe.…
Das dauert einfach seine Zeit.
Als ich endlich bereit war, bauten wir auf dem Weg zum Start ein paar Aufwärmübungen ein, wobei ich mich eher an dem Motto „ich laufe heute eh noch genug“ orientierte. Aber die Gelenke und Muskeln ein bisschen aufzuwecken, konnte nicht schaden.
Der Kaisermarathon: Ein Lauf, der seinem Namen alle Ehre macht
Im Startbereich wuselte es nur so von freudigen Gesichtern, durchtrainierten Körpern in bunten Trailrunning-Outfits, aufmunternden Blicken der Zuschauer, letzten Dehnübungen und Handys, mit denen Vorher-Selfies gemacht wurden. Vermutlich, um sie dann mit den Nachher-Selfies zu vergleichen und ungläubig festzustellen, wie frisch man einmal ausgesehen hat.
Die Stimmung war großartig und ich konnte es kaum erwarten, endlich zu starten. Meine Gefühle waren eine Mischung aus Nervosität, Aufregung und Vorfreude. Zum Glück war aber auch eine gute Portion Lockerheit dabei, denn ich strebte keine bestimmte Zeit an. Durchkommen war mein einziges Ziel für diesen Tag. Und zwar so, dass ich auch den Pölven Trail am nächsten Tag noch durchhalten würde.
Der Countdown wurde gezählt, eine letzte Umarmung und schon liefen wir los. Petra und ich hatten vereinbart, den 2. und 3. Tag gemeinsam zu bestreiten, egal was passieren würde. Das macht so einen Wettbewerb zu einem noch größeren Erlebnis und der Spruch Geteiltes Leid ist halbes Leid und geteilte Freude ist doppelte Freude trifft dafür wohl besonders zu. Wenn man wochenlang miteinander trainiert, alle Erfolgserlebnisse und Rückschläge teilt und gemeinsam auf den großen Tag hinfiebert, ist es umso schöner, diesen auch gemeinsam zu erleben.
Der Kaisermarathon Söll mit seinen 42 km und 2345 hm war ein Wechselbad der Gefühle – von unzähligen PULSmomenten begleitet.
Nach den ersten fünf Kilometern hatte ich in meinen Rhythmus gefunden und es ging gut voran. Wir wunderten uns über die lange Strecke, die wir mit relativ wenig Höhenmetern zurücklegten. Das änderte sich natürlich später, schließlich mussten wir ja irgendwie auf die angegebene Zahl kommen.
Schon bald stellte ich fest, dass ich eindeutig zu viel Riegel und Gels in meinem Rucksack hatte, denn die Labestationen waren bestens gefüllt. Und es gab viele davon. Jedesmal wurde man herzlich empfangen und sowohl die freiwilligen HelferInnen als auch die LäuferInnen selbst hatten immer einen kleinen Scherz parat, sodass man die Anstrengung für einen Moment vergaß und einfach nur glücklich war. Zu unserer großen Freude blinzelte bald auch die Sonne durch die Wolken.
Gemeinsam durch Höhen und Tiefen
Das Schöne an einem so langen Lauf und vor allem an einem 3-tägigen ist, dass man immer wieder die gleichen Personen trifft. Der eine ist bergauf schneller, der andere lässt eine Labestation aus und holt dadurch wieder ein paar Minuten auf, die nächste muss bergab ein bisschen runter vom Gas und kann deshalb wieder leichter eingeholt werden… Aufgrund der abwechslungsreichen Bedingungen beim Trailrunning gibt es viele Gründe, warum man plötzlich wieder von wem überholt wird, der schon vor zwei Stunden an einem vorbeigelaufen ist.
Und alle verbindet die Leidenschaft für diesen Sport, die Freude an der Bewegung in atemraubenden Berglandschaften, die Motivation, seine eigenen Grenzen auszuloten, vielleicht auch der Drang nach Freiheit, der beim Laufen in der Natur etwas gestillt wird. Diese Gründe treffen jedenfalls auf mich zu. Es geht nicht darum, einen nach dem anderen zu überholen, um ein paar Plätze auf der Ergebnisliste gut zu machen. Es geht darum, ans Ziel zu kommen, sein eigenes Ziel zu erreichen, seine eigenen Grenzen zu überschreiten. Dabei teilt man gerne Freud und Leid mit anderen auf der Strecke, hilft sich gegenseitig, motiviert sich, genießt die besonderen Momente gemeinsam.
Als ich einmal für einen kurzen Moment hinter einem Strauch verschwinden musste und Petra neben dem Weg auf mich wartete, wurde sie in den paar Minuten mindesten fünf Mal gefragt, ob es ihr eh gut gehe. In Erinnerung sind mir auch mehrere Situationen, in denen sich die Läufer gegenseitig über hohe Stufen hinunter geholfen haben, obwohl sie sich nicht kannten. So ein Bewerb schweißt zusammen. Es wird aufeinander geachtet.
Wenn „kleine Freuden“ zu „großen Momenten“ werden
Zurück zur Strecke: Kurz vor der Labe bei Kilometer 23, als wir der Bergstation der Hartkaiserbahn zusteuerten, begann es plötzlich zu schneien. Wir hatten an diesem Tag also wirklich jedes Wetterphänomen dabei. Oben freute ich mich besonders auf Kartoffeln mit Salz und einen Schluck Suppe. Meine extreme Begeisterung darüber wurde mit „Wahnsinn, worüber man sich in so einer Situation alles freuen kann“ von einem der Helfer kommentiert 🙂
Stimmt irgendwie.
Danach ging es eher flach durch den Wald weiter und weil die Sonne verdeckt war, wurde es ziemlich frisch. Bevor wir uns endgültig für’s Anziehen entschieden, kam die Sonne zurück und raus aus dem Wald erwartete uns ein KAISERLICHES Panorama.
Ein kleines Highlight war der Weg DURCH die Tanzbodenalm 🙂
Durch den Lautsprecher ertönten unsere Namen, begleitet von Applaus, Jubelschreien und Kuhglocken-Geläut. Das lässt das Herz höher schlagen und die Augen strahlen!
Hupf in Gatsch und beiß di durch
Mit diesem Motivationsschub und dem Wissen, dass bereits mehr als die Hälfte geschafft war, liefen wir weiter über den Jochstubensee und den Filzalmsee bis zum Hexenwasser (Kilometer 34). Dieser Abschnitt kam mir länger vor, als er eigentlich war. Die schon absolvierten Kilometer und Höhenmeter bekommt man dann doch irgendwann zu spüren. Jetzt waren aber nur mehr 8 Kilometer vor uns und wir lagen gut in der Zeit, das sollte noch locker zu schaffen sein. Dachten wir zumindest.
Wenn diese 8 Kilometer aber großteils aus extrem steilen Wanderwegen und einer sumpfigen Skipiste bestehen, ist das „locker“ schnell wieder zurückgenommen. In diesem Abschnitt hätte ich wirklich gerne meine Stöcke gehabt, aber die waren vom Veranstalter nicht gestattet. Aber wir stapften weiter durch den „Gatsch“ und schon bald erwartete uns das nächste Highlight – die Labestation bei Kilometer 37. Nicht nur, weil ich ohnehin schon wieder Hunger hatte, sondern weil sie in einem Stall aufgebaut war, durch den die Strecke führte.
Das Ziel zum Greifen nah
Nach dem Auftanken ging es weiter. Von den Worten eines Läufers, der zum wiederholten Mal den Kaisermarathon bestritt, „Jetzt wird es nochmal zach bis zum Ziel“ ließen wir uns nicht zu sehr verunsichern und liefen munter darauf los. Es ging nun wieder leichter, weil wir uns sicher waren, dass wir das Ziel erreichen würden. Nichts konnte uns daran hindern, die letzten 5 Kilometer noch zu absolvieren. Die Vorfreude auf den Zieleinlauf war dafür zu groß. Die Sonne schien, die Aussicht war ein Traum und meine Beine machten immer noch ziemlich gut mit. Einen Kilometer vor Schluss gab es noch einmal eine Labestation. Eigentlich überflüssig, dachte ich mir.
Wieder wurde ich aber bald eines Besseren belehrt und war auf dem letzten steilen Kilometer sehr froh, dass ich unten noch einen Schluck Cola getrunken und ein Stück von einem Riegel gegessen hatte. Es war nämlich richtig „zach“. Die Bergstation „Hohe Salve“ ständig im Blick quälte ich mich die Schotterstraße hinauf und wollte es nur mehr hinter mich bringen. Ich musste das Tempo ein bisschen runterfahren, auch wenn ich es kaum mehr erwarten konnte, endlich die Linie zu überschreiten.
Die letzten Meter liefen wir durch Schnee und Matsch und als wir um die Kurve bogen, wurden unsere Namen aufgerufen. Zuschauer jubelten uns zu, klatschten und trugen uns mit ihren motivierenden Worten hinein ins Ziel. Gänsehaut pur, unendliche Erleichterung, Unfassbarkeit, eine feste Umarmung, Tränen in den Augen und ein Strahlen im Gesicht. Was für ein großartiges Gefühl, es tatsächlich geschafft zu haben. Gemeinsam. Ein unglaublicher PULSmoment.
Sauna, Spaghetti & Schlaf – Perfekte Regeneration
Nach einem alkoholfreien Bier, Kuchen, Obst und einer Wurstsemmel – von der wir übrigens den ganzen Tag schon gesprochen und geträumt hatten 🙂 – ging es mit der Gondel ins Tal und im Hotel regenerierten wir in Sauna, Dampfbad und Pool. Als wir später in einem Restaurant auf unsere Pizza und Spaghetti warteten, realisierte ich die zurückgelegte Strecke erst so richtig. Ich war extrem durstig, müde und schwach und wusste: Wenn ich nicht schnell was zu essen bekomme, hält mein Kreislauf nicht mehr lange durch. Es wurde zum Glück rechtzeitig serviert 🙂
In der Hotelbar erlaubten wird uns noch ein Achterl Rotwein, das sicher nicht schaden konnte. Geschlafen habe ich im Anschluss jedenfalls wunderbar.
2 Antworten auf „Kaisermarathon – Tag 2 der Tour de Tirol“